Die gegenwärtige Rechtslage

Die Ausbreitung von Mobbing wird durch Defizite in der Rechtskultur der Amtskirche begünstigt. Diese ergeben sich insbesondere aus:

• mangelnder Anerkennung von Rechtsstaatlichkeit,

• Missachtung gültiger Verfahrensvorschriften,

• fehlender Transparenz durch unkontrollierbare Verpflichtung zur Verschwiegenheit,

• der Mitwirkung Bediensteter der Amtskirche an kirchengerichtlichen Entscheidungen, die eine unzulässige Interessenvermengung ermöglicht.

Dass es zu solchen Defiziten in den Kirchen kommen konnte, hat mit ihrem Sonderrecht zu tun, das in Artikel 137 (3) der Weimarer Reichsverfassung (1919) festgeschrieben wurde und vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 140 übernommen ist. Nach diesem Artikel ordnet und verwaltet jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbständig, ohne dass sich der Staat in das kirchliche Handeln einmischt. Doch zieht der Verfassungsartikel auch eine deutliche Grenze. Die den Religionsgemeinschaften garantierte Rechtsautonomie gilt nur „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“. Und zu den für alle geltenden Gesetzen zählen ohne Frage auch die Grundrechte unserer Verfassung. Doch eben diese Grundrechte werden bisher in kirchlichen Gesetzen und Verfahrensvorschriften kaum beachtet. Auch der Staat verzichtete bisher darauf, die in der Verfassung genannte Einschränkung kirchlicher Rechtsautonomie gegenüber den Amtskirchen durchzusetzen. Die Person, die sich von ihrer Kirche ungerecht behandelt sieht und versucht, ihr Recht vor Gericht einzuklagen, muss meistens erleben, dass die Klage vor den kirchlichen Gerichten scheitert. Sollte die Klage dennoch Erfolg haben, steht oft am Ende trotzdem noch lange nicht das Recht, das erstritten werden sollte. Aber auch der Gang zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe, der 2006 von zwei Pfarrern angetreten wurde, und ihre Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hatten keinen Erfolg, da sich auch diese Gerichte auf das kirchliche Sonderrecht bezogen und die eingereichten Klagen mit dem Hinweis auf GG Art. 140 ablehnten. Es scheint, dass sich erst das gesellschaftliche Klima weiter verändern muss, bis auch die Kirchen akzeptieren, dass sie mit ihrem Kirchenrecht und ihrer Rechtshandhabung den Werten des Grundgesetzes wie alle anderen gesellschaftlichen Gruppen verpflichtet sind.

Das neue Pfarrdienstgesetz der EKD

Bisher war das Pfarrdienstrecht Sache der einzelnen Landeskirchen. Von Landeskirche zu Landeskirche gab es unterschiedliche Regelungen. Hinter dem neuen EKD-Pfarrdienstgesetz steht die Bestrebung, das Pfarrdienstrecht für die gesamte EKD zu vereinheitlichen.

• Der erste Entwurf „Pfarrdienstgesetz.EKD vom 18. Aug. 2009“ wurde von verschiedenen Gremien der EKD erstellt. Dann wurde er den 22 Landeskirchen zur Stellungnahme zugeleitet.
• In der ELKB z. B. wurde dieser Entwurf nicht der Landessynode, dem gesetzgebenden Organ der ELKB, zur Prüfung vorgelegt. Eine Stellungnahme der Verwaltung (Landeskirchenrat) und die Zustimmung zu dieser Stellungnahme durch den geschäftsführenden Ausschuss der Landessynode (Landessynodal-Ausschuss) ersetzten – völlig legal – die Stellungnahme des Gesetzgebers.
• Aufgrund der Stellungnahmen der Landeskirchen wurde der Entwurf überarbeitet: „Entwurf Pfarrdienstgesetz.EKD vom 16. Aug. 2010“. Anschließend überprüften verschiedene Gremien der EKD den Entwurf erneut. In dieser neuen Fassung wurde er der Synode der EKD zur Abstimmung vorgelegt.
• Pfarrdienstgesetz der EKD (Vorlage zur Beschlussfassung durch die EKD-Synode Stand Oktober 2010, inklusive Begründung) zum Download hier.
• Das neue Pfarrdienstgesetz.EKD war nicht das Schwerpunktthema der Synode vom 7. bis 10. Nov. 2010 in Hannover. Nur der siebte unter 14 Tagesordnungspunkten.
• Auf allen Entwurfsstufen ist der Text des neuen Pfarrdienstgesetz.EKD geheim. Selbst die Synodalen der EKD bekamen den Text erst Mitte Oktober 2010.
• Am 10. Nov. 2010 (= Geburtstag von Martin Luther im Jahr 1483) beschloss die Synode der EKD ohne ausführliche Debatte das neue Pfarrdienstgesetz.EKD einstimmig.
• Pfarrdienstgesetz der EKD (endgültiger Text durch Beschluss der Synode vom 10. November 2010) zum Download hier.

Vgl. zum Pfarrdienstgesetz die kritischen Stellungnahmen von Rainer Mischke und Gisela Kittel.

Mit kritischen Stellungnahmen wandte sich auch eine „Initiative für ein gerechtes Kirchenrecht in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau“ an:

• Das Präsidium der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland am 1. Juni 2013; zum Download hier.
• Den früheren Vizepräses des Präsidiums der Synode der EKD, Herrn Günther Beckstein, am 24. August 2013; zum Download hier.
• Den Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, am 24. August 2013; zum Download hier.
• Den vormaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm am 5. Mai 2015; zum Download hier.

Der Verein „D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der Evangelischen Kirche e.V.“ veröffentlicht diese Schreiben in Absprache mit der Initiative an dieser Stelle seiner Homepage.

Kirchenrecht bricht Grundgesetz

Darf Kirchenrecht unsere Verfassung brechen?

Von Pfarrer i.R. Rainer Mischke und Dr. jur. Hanns Lang

Ein Beispiel aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern:
Unter der Überschrift „Kirchenrecht bricht Grundgesetz.“ beklagte sich vor kurzem ein bayerisches Pfarrer z. A.-Ehepaar über die langjährige Praxis der Ev.-Luth. Kirche in Bayern, Pfarrers-Ehepaaren zusammen immer nur eine 100 %-Anstellung zu geben.

Ein berechtigter Aufschrei?

Wie ein Aufschrei, wie eine Anklage klingt der Satz „Kirchenrecht bricht Grundgesetz.“ Als erste Reaktion wird jeder Bundesbürger/jede Bundesbürgerin in diese Anklage einstimmen:

„So etwas darf nicht sein. Niemals und nirgends!“ Aber einige Jurist/innen in der Bundesrepublik werden cool und fälschlicher Weise feststellen: „Na und? So ist halt das Anstaltsrecht.“

So ist halt das Anstaltsrecht.

Jede Anstalt öffentlichen Rechts hat Recht auf ein eigenes Anstaltsrecht. In diesem Anstaltsrecht darf sie festlegen, welche Teile des Grundgesetzes in ihrem Bereich nicht gelten. Ja sogar, welche Grundrechte in ihrem Bereich außer Kraft gesetzt werden.

So gilt z. B. für Gefangenenzeitungen nicht das Presserecht samt der Pressefreiheit. Ein/e Beamter/in der entsprechenden Justizvollzuganstalt entscheidet, was gedruckt wird und was nicht. Ferner: Wer im Strafvollzug beschäftigt ist, muss bereit sein, sich während seiner Arbeitszeit einsperren zu lassen.

Auch dies: Die Beamten des Freistaats Bayern räumen ihrem Dienstherrn, dem Freistaat, ein, dass dieser sie jederzeit in ganz Bayern versetzen darf.

Weiterlesen per Download hier.

Kirchliches Arbeitsrecht

Das kirchliche Arbeitsrecht ist in die Diskussion gekommen. Der Begriff „Kirchliches Arbeitsrecht“ besagt, dass die Kirchen ihr Arbeitsrecht selbst regeln können. In der evangelischen Kirche und ihren bundesweit 28.000 diakonischen Einrichtungen mit rund 450.000 Angestellten gilt im Arbeitsrecht ein Sonderweg. Anders als in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst werden Arbeitsbedingungen sowie Löhne und Gehälter von einer arbeitsrechtlichen Kommission ausgehandelt, die mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzt ist. Kommt keine Einigung zustande, entscheidet eine Schiedskommission.

In der Zeit vom 3. bis 9. November 2011 fand in Magdeburg die vierte Tagung der Synode der EKD statt. Auf dieser Tagung nahm das Thema kirchliches Arbeitsrecht einen breiten Raum ein. Nach Meinung der Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Katrin Göring-Eckardt, habe die Verabschiedung des Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetzes (ARGG) mit breiter Mehrheit die Tür aufgestoßen zu einem solidarischen Neuanfang bei der Praktizierung des so genannten „Dritten Weges“.

„Einbringung des Kirchengesetzes über die Grundsätze zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Diakonie  Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz der EKD – ARGG-Diakonie-EKD)“
Zum Download hier.

„Entwurf des Kirchengesetzes über die Grundsätze zur Regelung der   Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Diakonie (Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz der EKD – ARGG-Diakonie-EKD)“
Zum Download hier.

In einer epd-Meldung vom 19. Dezember 2011, Stand: 24. Oktober 2012, heißt es:

„Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hat das kirchliche Arbeitsrecht gegen Angriffe der Dienstleistungsgewerkschaft ›ver.di‹ und aus politischen Parteien verteidigt. Die Kirchen wollten am sogenannten Dritten Weg festhalten, bei dem Löhne ohne Streik und Aussperrung ausgehandelt werden, sagte Schneider am Sonntag im Deutschlandfunk.

’Geschäftsidee’ der Kirchen sei es nicht, durch das Drücken von Löhnen Renditen zu erwirtschaften oder Gewinne an Kapitalgeber abzuführen. ’Unser Ziel ist eine schwarze Null’, ergänzte der Repräsentant der mehr als 24 Millionen evangelischen Christen in Deutschland. Er fügte hinzu: ’Und wir wollen die Menschen nicht ausbeuten.’

Dass die Kirchen ihr Arbeitsrecht selbst regeln könnten, ist Schneider zufolge vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Es gehe deshalb nicht an, dass ein Landesarbeitsgericht ein generelles Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen für nicht zulässig erkläre, weil nicht alle Tätigkeiten als ein Dienst am Nächsten bezeichnet werden könnten.

’Wir möchten selber definieren, wie wir unseren Verkündigungsauftrag verstehen’, argumentierte der EKD-Ratsvorsitzende, der auch Präses der Rheinischen Kirche ist. Verkündigung gebe es in Wort und in Tat. Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte im Januar 2011 eine Klage von Kirche und Diakonie gegen einen Streikaufruf von ›verdi‹ abgelehnt und damit das Streikverbot infrage gestellt. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet im nächsten Jahr über die Revision.“

Der vollständige Wortlaut der epd-Meldung zum Download hier

Das kirchliche Arbeitsrecht kritisiert Johannes Riedel in seinem Artikel „Die Kirche vergeudet ihr Ansehen – Der dritte Weg als Irrweg“ (aus: Deutsches Pfarrerblatt 4/2012, Seite 223-224).

Der Artikel von Johannes Riedel zum Download hier.

Die kirchlichen Sonderrechte, wozu auch das kirchliche Arbeitsrecht gehört, werden aus grundsätzlicher theologischer Perspektive kritisiert von Karl Martin in seinem Vortrag „Die Kirche und der Fluch der Macht“.

Der Vortrag von Karl Martin zum Download hier.

Im November 2012 hat das Bundesarbeitsgericht ein Grundsatzurteil zum kirchlichen Arbeitsrecht gefällt. Streiks sind seither Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in kirchlichen Einrichtungen nicht mehr per se verboten. Der Zugang von Gewerkschaften zu den arbeitsrechtlichen Kommissionen soll gewährleistet werden. Zugleich wurde das Recht der Kirchen bestätigt, ihre Arbeitsverhältnisse selbst zu regeln. Mit diesem Urteil kommt eine lange juristische Auseinandersetzung an ihr Ende. Zugleich bleibt jedoch die Herausforderung für Dienstgeber und Dienstgeberinnen wie für Dienstnehmer und für Dienstnehmerinnen bestehen, in der Praxis Regelungen für gute Arbeitsbedingungen und eine faire Entlohnung im Gesundheits- und Sozialsektor zu entwickeln.

Grenzen der kirchlichen Rechtsautonomie

Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW (Münster)

Seit September 2012 gibt es auch einen Lichtblick. Noch im Dezember 2008 hatte das Bundesverfassungsgericht die Klagen zweier betroffener Pfarrer, die in der Rheinischen Landeskirche durch den Ungedeihlichkeitsparagrafen ihre Pfarrämter verloren haben und ohne Schuldnachweis in den vorgezogenen Ruhestand versetzt sind, mit dem Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (GG Art. 140) abgewiesen. Dieses Urteil wurde dann leider vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Dezember 2011 bestätigt. Doch nun hat erstmals ein weltliches Gericht diese Rechtsprechung angefragt. Im Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW (Münster) wird in den Abschnitten 41ff das Verhältnis des kirchlichen Rechts zu den in der Verfassung allen Bürgern und Bürgerinnen garantierten  Grundrechten reflektiert und auch deutliche Kritik am genannten Urteil des Bundesverfassungsgerichts geübt.

Auszüge aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW:

43
a)Das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert jedem den Rechtsweg, der geltend macht, durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Maßnahmen von Religionsgesellschaften auf dem Gebiet des kirchlichen öffentlichen Dienstrechts, die gegenüber einem Pfarrer oder Kirchenbeamten ergehen, sind derartige Akte der öffentlichen Gewalt. Öffentliche Gewalt in diesem Sinne umfasst jegliche Hoheitsgewalt. Darunter fällt auch die vom Staat übertragene Hoheitsgewalt der Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind.

44
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist kirchliche Gewalt grundsätzlich keine staatliche Gewalt. Den Religionsgesellschaften ist verfassungsrechtlich das Recht eingeräumt, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV). Der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV) bekräftigt dieses Selbstbestimmungsrecht; er ist ein Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit. …

46
Mit dem Körperschaftsstatus werden den Religionsgesellschaften aber auch hoheitliche Befugnisse übertragen. Diese sind kein Ausfluss originärer, durch Art. 137 Abs. 5 WRV lediglich staatlich anerkannter kirchlicher Gewalt, sie sind vielmehr vom Staat abgeleitet. …

48
Die mit dem Körperschaftsstatus verbundenen hoheitlichen Befugnisse sollen die Entfaltungsmöglichkeiten der Religionsgesellschaft auch und gerade dadurch erweitern, dass sie sie bei der Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten zu einem Handeln in den Formen und mit den Mitteln des öffentlichen Rechts befähigen. …

50
Mit Blick auf die Rechte der von der Ausübung dieser Hoheitsrechte Betroffenen geht damit aber die Verpflichtung einher, die Grundwerte der Verfassung zu beachten. Diese rechtsstaatliche Bindung scheitert nicht daran, dass korporierte Religionsgemeinschaften die ihnen übertragene Hoheitsgewalt nicht – wie Beliehene – zur Erfüllung staatlicher Aufgaben einsetzen, sondern zu eigenen Zwecken. Denn unter dem Grundgesetz ist jegliche Ausübung von Hoheitsgewalt an die Verfassung und an die gesetzliche Ordnung gebunden. …

52
Dies hat das Bundesverfassungsgericht im Kammerbeschluss vom 9. Dezember 2008, nach dem dienstrechtliche Maßnahmen der Kirche keine Akte öffentlicher Gewalt darstellen, nicht hinreichend beachtet. Es erkennt darin zwar grundsätzlich an, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen bei der Ausübung der vom Staat verliehenen Befugnisse eine in der Sache begründete Einschränkung erfahre. Entsprechendes gelte, soweit ihre Maßnahmen den kirchlichen Bereich überschritten oder in den staatlichen Bereich hinreinreichten. …

54
Die anschließende Subsumtion, dienstrechtliche Maßnahmen gegenüber einem Pfarrer fielen nicht in den Bereich, in dem der Staat der Kirche hoheitliche Gewalt verliehen habe, ist indes nicht nachvollziehbar. Sie steht in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu der – bereits erwähnten – Senatsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Danach gehört die Dienstherrenfähigkeit zu den mit dem Körperschaftsstatus übertragenen hoheitlichen Befugnissen der korporierten Religionsgemeinschaften. …

56
Ausgehend davon handelt es sich auch bei der Nutzung der Dienstherren-Befugnisse um die Ausübung vom Staat verliehener öffentlicher Gewalt. …

58
b) Der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten ist selbst dann gegeben, wenn die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 4 GG entgegen den vorstehenden Ausführungen nicht vorliegen würden. In diesem Fall könnte sich der Kläger auf die verfassungsrechtlich gewährleistete staatliche Justizgewährungspflicht berufen (Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 92 GG). Danach ist der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten in dienstrechtlichen Streitigkeiten von Pfarrern und Kirchenbeamten gegen die Kirche jedenfalls insoweit eröffnet, als sie die Verletzung staatlichen Rechts geltend machen.

59
Dem kann nicht entgegengehalten werden, im Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirche, zu denen das gesamte Dienstrecht der Geistlichen zähle, sei kein staatliches Recht zulässig, das die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften einschränke. …

61
Diese Auffassung ist schon mit dem Wortlaut des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV nicht vereinbar. Danach ist das Selbstbestimmungsrecht nur in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes gewährleistet. Auch der kirchlich autonome Bereich ist mithin in die staatliche Rechtsordnung eingebunden. Maßnahmen, die zum Kernbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gehören, sind zumindest an Grundprinzipien der staatlichen Rechtsordnung gebunden und auf ihre Vereinbarkeit mit diesen zu überprüfen. Hierzu zählen die Grundwerte der Verfassung, die die Grundrechte einschließen.

Da dieses Urteil mit seiner Begründung die kirchlichen Verfahren und die kirchliche Rechtsprechung insgesamt auf den Prüfstand stellt, ist die Evangelische Kirche im Rheinland, wie nicht anders zu erwarten, in Revision gegangen. Es bleibt abzuwarten, wie dieser Rechtsstreit nun weitergeht.

Vgl. die Urteile des BVgerichts, des EuGH und des OVerwG NRW.
Das ganze Urteil des OVerwG NRW zum Download hier.

Inzwischen hat das Bundesverwaltungsgericht zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster Stellung genommen und dieses jedenfalls zum Teil bestätigt: „Geistliche und Kirchenbeamte können sich gegen dienstrechtliche Maßnahmen ihrer Religionsgesellschaft mit der Rüge, die Maßnahme verstoße gegen elementare Grund­sätze der staatlichen Rechtsordnung, grundsätzlich an die staatlichen Verwaltungsgerichte wenden.“

So die Verlautbarung des Bundesverwaltungsgerichts in einer Pressemitteilung, nachzulesen per Download hier.

Dokumente zur Rechtslage

Grundsätzliches

Gesetzestexte

GG 140

Gerichtsurteile

Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW (Münster) vom 18. 09. 2012

Stellungnahmen

Mischke/Lang, „Kirchengesetz bricht Grundgesetz

 

Pfarrdienstrecht

Gesetzestexte

Das neue Pfarrdienstgesetz der EKD (Synodenvorlage mit Begründung)

Das neue Pfarrdienstgesetz der EKD (Verabschiedeter Text)

Gerichtsurteile

Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2008

Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom Dezember

Stellungnahmen

Mischke, „Quo vadis, Pfarrdienstgesetz der EKD?“

Kittel, Wie Bewährung im Pfarramt heute gemessen wird. Ein Appell an die Theologischen Fakultäten – eine Warnung an alle Studierenden der Evangelischen Theologie, sofern sie sich auf das Pfarramt vorbereiten.

Kittel, Stellungnahme zur „Theologie“ der Verfassungsrichter

Sunnus, Mobbing in der evangelischen Kirche

 

Kirchliches Arbeitsrecht

Gesetzestexte

Grundsätze zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der MitarbeiterInnen in der Diakonie. (Einbringung)

Grundsätze zur Regelung … (Vorlage)

Gerichtsurteile

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20. November 2012

Stellungnahmen

Stellungnahme des früheren Ratsvorsitzenden Schneider zum kirchlichen Arbeitsrecht. Epd-Meldung.

Riedel, Die Kirche vergeudet ihr Ansehen – Der dritte Weg als Irrweg (DtPfBl 4/2012, 223f)

Martin, Die Kirche und der Fluch der Macht (Vortrag)

Literatur zur Rechtslage

  • Bock, Wolfgang
    Streit um die Prinzipien des Pfarrerdienstrechts
    In: Freiheit verantworten. Festschrift Wolfgang Huber zum 60. Geburtstag, Gütersloh 2002
  • Dietrich, Hans-Eberhard
    Amtsverhältnis und kirchliches Pfarrerdienstrecht der evangelischen Kirchen
    Deutsches Pfarrerblatt 6/2006
  • Dietrich, Hans-Eberhard
    Der Wartestand der protestantischen Kirchen und seine Herkunft aus dem nationalsozialistischen Reichsbeamtengesatz von 1937
    Deutsches Pfarrerblatt 1/2005

  • Dietrich, Hans-Eberhard
    Die Versetzung von Pfarrern in der protestantischen Tradition und die Einführung des Wartestandes
    ZevKR 2008

  • Dietrich, Hans-Eberhard
    Die zeitliche Begrenzung der Inhaberschaft von Gemeindepfarrstellen
    Hessisches Pfarrerblatt Juni 2008

  • Dietrich, Hans-Eberhard
    Fürsorgepflicht im Pfarrerdienstrecht der evangelischen Kirchen
    Manuskript 2007

  • Dietrich, Hans-Eberhard
    Menetekel überm Wartestand
    Deutsches Pfarrerblatt 6/2004

  • Dietrich, Hans-Eberhard
    „Sie sollen sich hüten, ihren Pfarrer zu vertreiben“
    Über die Frage der Versetzung von Pfarrern bei Luther, seinen Schülern und in einigen der ersten protestantischen Kirchenordnungen
    in: Gerechtigkeit erhöht ein Volk, Festschrift für Hanns Lang 2008

  • Dietrich, Hans-Eberhard
    Die bessere Gerechtigkeit. Plädoyer für ein Pfarrerdienstrecht, das Bibel und Bekenntnis gerecht wird. Dargestellt am Beispiel der Versetzung von Geistlichen gegen ihren Willen.
    Studien zur Kirchengeschichte und Theologie, Bd.1. o.J.

  • Dietrich, Hans-Eberhard
    Wider Kirchenraub und Kläffer. Luthers Ablehnung einer Zwangsversetzung von Pfarrern.
    Deutsches Pfarrerblatt 10/2008

  • Dietrich, Hans-Eberhard
    Ohne geistlichen Sinn und biblische Weisung. Kirchenrecht darf es nicht ohne Bindung ans Bekenntnis geben
    in: Kirchliche Zeitgeschichte, Heft 2/2009, S.550ff.

  • Ennuschat, Jörg
    Gedeihliches Wirken und Inamovibilität der Pfarrer
    ZevKR 2008

  • Gocht, Gotthold
    Begriff Recht, Verantwortung 2004
    Manuskript

  • Gocht, Gotthold
    Die Versetzung einer Pfarrperson aus ihrer Pfarrstelle wegen Ungedeihlichkeit
    – nach Kirchenrecht verfassungswidrig?
    Hessisches Pfarrerblatt Februar 2004, S. 17 ff.

  • Isensee, Josef
    Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts
    in: Dem Staat, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist.
    Festschrift für Josef Listl zum 70. Geburtstag, 1999

  • Kästner, Karl-Hermann
    Evangelische Kirchengerichtsbarkeit zwischen Selbstbehauptung und Selbstüberschätzung

  • Kästner, Karl-Hermann
    Vergangenheit und Zukunft der Frage nach rechtsstaatlicher Judikatur in Kirchensachen
    ZevKR, 48, Band, 3. Heft, September 2003

  • Kapischke, Dr. Markus
    Neuregelung des Kirchenbeamtenrechts in den evangelischen Kirchen
    ZBR 2007, 235

  • Kirchberg, Christian
    Staatlicher Rechtsschutz in Kirchensachen
    NJW 1999, Heft 7

  • Link, Christoph
    Ruhestandsversetzung von Pfarrern wegen „nicht gedeihlichen Zusammenwirkens“ mit der Gemeinde und kirchliches Selbstbestimmungsrecht
    In: Dem Staat, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Josef Listl zum 70. Geburtstag, 1999

  • Lührs, Hermann
    Kirchliche Dienstgemeinschaft. Genese und Gehalt eines umstrittenen Begriffs
    in: Kirche und Recht (KuR) 2007, 220-246

  • Martin, Karl / Sunnus, Sabine / Ullmann, Ingrid
    Berufung Rufmord  Abberufung – Der Ungedeihlichkeitsparagraf in den evangelischen Kirchen: Der falsche Weg, Konflikte zu lösen
    Im Auftrag des Vereins D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der evangelischen Kirche e.V. herausgegeben von Karl Martin, Sabine Sunnus und Ingrid Ullmann. 160 S., kart., 1. Aufl. Nov. 2007,  9,80 € (inkl. MwSt.; zzgl. Versand), ISBN 3-9809376-5-8

  • Mischke, Rainer
    Kirchenrecht Sonderrecht  Unrecht – Plädoyer für Rechtsstaatlichkeit und Geltung des Evangeliums in den evangelischen Kirchen.
    Herausgegeben vom gemeinnützigen Verein „D.A.V:I.D. gegen Mobbing in der evangelischen Kirche e.V.“. Zusammenstellung der Texte: Rainer Mischke. 140 Seiten, Fenestra-Verlag Wiesbaden-Berlin 1. Auflage Oktober 2010, 10,80 € (inklusive Mehrwertsteuer; zuzüglich Versandkosten), ISBN 978-3-9813498-2-5

  • Nolte, Achim
    Durchbruch auf dem Weg zu einem gleichwertigen staatlichen Rechtsschutz in Kirchensachen?!
    NJW 2000, S. 1844 ff.

  • Schliemann, Harald
    Europa und das deutsche kirchliche Arbeitsrecht, Kooperation oder Konfrontation?
    NZA 2003, 407

  • Siemens, Andreas
    Barmen und das Pfarrdienstrecht
    Manuskript 2006

  • Siemens, Andreas
    Die Unversetzbarkeit der Inhaber des Pfarramtes. Anmerkungen zur faktischen Aufhebung einer Rechtsgarantie; Referat für den Theologischen Konvent im Sprengel Hannover am 15.05.2007; Manuskript

  • Tiling von, Peter
    Die Versetzung von Pfarrern insbesondere „mangels gedeihlichen Wirkens“
    in: ZevKR 1998, S. 55 ff.

  • Wickler, Dr. Peter (Hrsg.)
    Handbuch Mobbing-Rechtsschutz
    2004, XIX / 454 Seiten, Hardcover, Eur (D) 59,80, ISBN 978-3-8114-1856-1
    Reihe: Recht in der Praxis, C.F. Müller RWS